Sitzung vom 30. September 2021

Dekretentwurf zur Abänderung des Dekrets vom 1. Juni 2004 zur Gesundheitsförderung und zur medizinischen Prävention

1. Beschlussfassung:

Die Regierung verabschiedet in zweiter und letzter Lesung den Dekretentwurf zur Abänderung des Dekrets vom 1. Juni 2004 zur Gesundheitsförderung und zur medizinischen Prävention.

Der Minister für Gesundheit und Soziales, Raumordnung und Wohnungswesen wird beauftragt, den Entwurf im Parlament zu hinterlegen.

2. Erläuterungen:

In der Deutschsprachigen Gemeinschaft wurde seit Ausbruch der Coronavirus (COVID-19) Gesundheitskrise eine Vielzahl von Maßnahmen getroffen, um einerseits die verwaltungstechnischen und die finanziellen Folgen aufzufangen, andererseits aber auch um die Ausbreitung der Infektion zu stoppen.

Zu den erstgenannten Maßnahmen gehörten insbesondere die Krisendekrete vom 6. April, 27. April und vom 20. Juli 2020.

Zu den Maßnahmen zur Unterbrechung von Infektionsketten gehörte das Dekret vom 20. Juli 2020 über die Rückverfolgung von Infektionsketten im Rahmen der Bekämpfung der Coronavirus (COVID-19) Gesundheitskrise, mit dem das Kontaktzentrum eingerichtet wurde.

Auch wenn bisher hauptsächlich der Föderalstaat die belgienweiten Einschränkungs- und Lockerungsmaßnahmen getroffen hat (s. die seit dem 13. März 2020 verabschiedeten ministeriellen Erlasse zur Festlegung von Dringlichkeitsmaßnahmen), so sind tatsächlich auch die Gemeinschaften gemäß Artikel 5 § 1 I Absatz 1 Nr. 8 des Sondergesetzes vom 8. August 1980 zur Reform der Institutionen für die Früherkennung und die Bekämpfung gegen ansteckende und soziale Krankheiten als Unterteil ihrer Zuständigkeiten im Bereich der Präventivmedizin zuständig. Diese Zuständigkeit erlaubt es den Gemeinschaften, Maßnahmen zur Vorbeugung und Bekämpfung ansteckender Krankheiten zu treffen. Diese Feststellung hat umso mehr ihre Berechtigung, insofern der Föderalstaat anlässlich des Konzertierungsausschusses vom 17. September 2021 verlauten ließ, die föderalen Präventionsmaßnahmen nun progressiv auslaufen zu lassen. Die Infektionslage ist jedoch weiterhin als prekär zu beschreiben: Die Durchimpfungsrate lässt landesweit weiterhin zu wünschen übrig und die epidemiologische Situation ist insbesondere auf dem deutschen Sprachgebiet weiterhin besorgniserregend. Durch die Aufhebung der föderalen Präventionsmaßnahmen besteht das Risiko, dass in Abwesenheit von durch die Deutschsprachige Gemeinschaft zu treffenden Ersatzmaßnahmen sich die epidemiologische Situation schnell verschlechtern wird, was sowohl die Krankenhäuser wieder belasten wird als auch eine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung der Deutschsprachigen Gemeinschaft darstellt. Es ist daher unerlässlich, abhängig von der Entwicklung der epidemiologischen Gesamtsituation, geeignete Präventionsmaßnahmen zu treffen, um die Gesundheit und das Leben der Bürger zu schützen.

Mit dem Programmdekret 2020 wurde ein Artikel 10.4.1 in das Dekret vom 1. Juni 2004 zur Gesundheitsförderung und zur medizinischen Prävention eingefügt durch den die Regierung dazu ermächtigt werden soll, Maßnahmen allgemeiner Art zur Bekämpfung der Ausbreitung ansteckender Krankheiten zu ergreifen. Hinsichtlich der Gründe für die Annahme dieser Ermächtigung wird auf die entsprechenden Parlamentsdokumente verwiesen (Parl. Dok., 2020-2021, Nr. 106/1, S. 3).

In der Tat machte die fortschreitende Verbreitung des Coronavirus (COVID-19) deutlich, dass neben individuellen Regelungen und Maßnahmen auch allgemeine Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit und zur Bewältigung der Auswirkungen auf das Gesundheitswesen notwendig sind.

Der durch das Programmdekret 2020 eingefügte Artikel 10.4.1 ermächtigt die Regierung zur Annahme von notwendigen Maßnahmen zur Bekämpfung von ansteckenden Krankheiten, welche jedoch in die Grundfreiheiten der Bürger eingreifen. Sie dienen zum Schutz der Bevölkerung vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus (COVID-19) und erfolgen in Umsetzung der Gewährleistung des Rechts auf Gesundheitsschutz gemäß Artikel 23 Absatz 3 Nummer 2 der Verfassung. Dieser Artikel wird für andere Krankheiten als das Coronavirus (COVID-19) beibehalten. Vor Ausbruch einer Gesundheitskrise lassen sich Art und Umfang der zu treffenden Maßnahmen im Voraus nicht genau festlegen. In der Tat hängt das Wesen einer Vorbeugungsmaßnahme maßgeblich von der Infektiosität und vom Verbreitungsweg der Krankheit ab. Diese Ermächtigung soll die Regierung daher befähigen, bei Ausbruch einer künftigen Gesundheitskrise ohne Zeitverlust unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, die jedoch im Einklang mit einem ggf. von der Föderalbehörde getroffenen Maßnahmenpaket sein müssen. Der Dekretgeber wird dann in der Folge, wenn Genaueres zu dieser ansteckenden Krankheit bekannt ist, angemessene Einschränkungen vorsehen können.

Damit das Parlament seiner Rolle als Souverän angesichts der länger andauernden Pandemielage und fortgesetzt erforderlichen Maßnahmen nachkommen kann und um dem Bürger die notwendige Transparenz entgegenzubringen, ist eine dekretale Präzisierung im Hinblick auf Art, Dauer und Intensität möglicher Maßnahmen angezeigt. Der Dekretgeber soll durch den vorliegenden Entwurf die Abwägung der zur Bekämpfung einer epidemischen Lage erforderlichen Maßnahmen und den von diesen Maßnahmen betroffenen Freiheiten vornehmen und somit im Wesentlichen den Umfang der der Regierung zugestandenen Befugnisse regeln.

Zu den einzelnen Maßnahmen, die der Regierung zugestanden werden, gehören Folgende:

  1. den Zugang zu den von ihr festgelegten Orten oder öffentlichen Orten verbieten oder nur unter den von ihr festgelegten Bedingungen gestatten;
  2. Ausgangsbeschränkungen im öffentlichen Raum oder Kontaktbeschränkungen im privaten sowie im öffentlichen Raum auferlegen;
  3. ein Abstandsgebot im öffentlichen Raum auferlegen;
  4. das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung auferlegen;
  5. den Betrieb von Kultur-, Freizeit- und Vergnügungseinrichtungen einschränken oder untersagen;
  6. Veranstaltungen im Freizeit- und Kulturbereich einschränken oder untersagen;
  7. die Ausübung sportlicher Tätigkeiten sowohl in öffentlichen als auch in privaten Sportinfrastrukturen einschränken oder verbieten;
  8. Personengemeinschaften im Sinne von Artikel 10.7 Nummer 5 schließen oder ihnen Auflagen für die Fortführung ihres Betriebs auferlegen;
  9. Betriebe, Einrichtungen oder Angebote mit Publikumsverkehr zur Erstellung und Anwendung von Hygienekonzepten verpflichten;
  10. stationären Angeboten und Einrichtungen die Schaffung und Nutzung von Isolierstationen auferlegen;
  11. den Betrieb von touristischen Unterkünften einschränken oder untersagen;
  12. die Tätigkeit einzelner oder von der Regierung definierten Betrieben und Einrichtungen unter Auflagen erlauben, einschränken oder untersagen;
  13. Auflagen für das Abhalten von Veranstaltungen auferlegen oder diese verbieten
  14. religiöse Zusammenkünfte einschränken oder untersagen.

Die Maßnahmen können von der Regierung verabschiedet werden, insofern die epidemiologische Lage in der Deutschsprachigen Gemeinschaft als besorgniserregend einzustufen ist. Hierfür stellt das Dekret fünf Indikatoren bereit, anhand der die Regierung die Gesundheitssituation einschätzen muss.

Schließlich sieht das Dekret vor, dass die Maßnahmen zeitlich begrenzt sein müssen, keine Behandlung umfassen dürfen und an den Präsidenten des Parlaments geschickt werden müssen.

3. Finanzielle Auswirkungen:

Es entstehen keine Kosten für die Deutschsprachige Gemeinschaft.

4. Gutachten:

Der Staatsrat stellte am 12. Januar 2020 zum Dekretvorentwurf das Gutachten 68.338/3/AV aus. Dieses beschränkt sich im Wesentlichen auf zuständigkeitsrechtliche Fragen.

Nach einer umfassenden Erläuterung der bestehenden Rechtsprechung und Legisprudenz im Bereich der medizinischen Prävention teilt der Staatsrat die in Artikel 2 festgelegten Maßnahmen in drei Kategorien ein: 1) Maßnahmen, für die die Deutschsprachige Gemeinschaft zwar zuständig ist, die jedoch zu allgemein gefasst sind; 2) Maßnahmen, für die die Deutschsprachige Gemeinschaft uneingeschränkt zuständig ist; 3) Maßnahmen, für die die Deutschsprachige Gemeinschaft nicht zuständig ist.

1) Nach Ansicht des Staatsrats können folgende Maßnahme „mit Sicherheit“ den Gemeinschaftszuständigkeiten zugerechnet werden, jedoch seien diese derart allgemein formuliert, dass damit die Zuständigkeiten anderer Behörden berührt würden. Es geht um die Maßnahmen 1-4, 9 und 12 und 14 des Dekretvorentwurfs, d.h. die Möglichkeit:

  • den Zugang zu den von der Regierung festgelegten Orten oder öffentlichen Orten zu verbieten oder nur unter den von ihr festgelegten Bedingungen zu gestatten;
  • Ausgangsbeschränkungen im öffentlichen Raum oder Kontaktbeschränkungen im privaten sowie im öffentlichen Raum aufzuerlegen;
  • ein Abstandsgebot im öffentlichen Raum aufzuerlegen;
  • das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aufzuerlegen;
  • Betriebe, Einrichtungen oder Angebote mit Publikumsverkehr zur Erstellung und Anwendung von Hygienekonzepten zu verpflichten;
  • die Tätigkeit einzelner oder von der Regierung definierten Betrieben und Einrichtungen unter Auflagen zu erlauben, einzuschränken oder zu untersagen;
  • religiöse Zusammenkünfte einzuschränken oder zu untersagen.

Der Staatsrat ist hier der Meinung, dass für diese Maßnahmen präzisiert werden müsse, auf welchem Gebiet und/oder unter welchen Umständen diese auferlegt werden können. Zudem müssten sie sich an infizierte Personen richten oder an solche, die ein erhöhtes Risiko aufweisen, sich zu infizieren. Darüber hinaus stellte sich der Staatsrat die Frage, wie sich eventuelle Maßnahmen der Deutschsprachigen Gemeinschaft zu denen des Föderalstaats verhielten. Sicher sei, dass die Deutschsprachige Gemeinschaft die Maßnahmen des Föderalstaats nicht lockern oder aufheben dürfe.

Hinsichtlich dieser Erwägungen gilt festzustellen, dass die Regierung dieser Sichtweise nicht uneingeschränkt folgen kann.

In seiner zuständigkeitsrechtlichen Ausgangsbeurteilung orientiert sich der Staatsrat an seinem Gutachten Nummer 34.339/AV vom 30. Oktober 2002 zu einem Dekretvorentwurf der flämischen Gemeinschaft ‚über die präventive Gesundheitspolitik‘. Anhand der Kriterien, die der Staatsrat anlässlich dieses Gutachtens festgehalten hat, um zu prüfen, ob eine Maßnahme zur medizinischen Prävention gehört, prüft der Staatsrat auch im Rahmen des vorliegenden Dekretentwurfs, ob die Maßnahmen dieser Zuständigkeit zugerechnet werden können.

Diesbezüglich ist die Regierung der Ansicht, dass sich der Dekretentwurf voll und ganz in die Vorgaben des Gutachtens 34.339/AV einreiht und die im Dekretentwurf vorgesehenen Maßnahmen als „Aktivitäten und Dienste“ qualifiziert werden können.

So geht aus Bemerkung 10 des Gutachtens 34.339/AV hervor, dass es sich bei der den Gemeinschaften zugewiesenen Zuständigkeit um eine Politik handelt, die eng verbunden ist mit der Vermeidung und Aufspürung von Konditionen und Krankheiten.

In Bemerkung 11 des vorerwähnten Gutachtens wird aus den Parlamentsdokumenten zum Sondergesetz zitiert. In diesen Parlamentsdokumenten wird präzisiert, was man unter „Aktivitäten und Diensten“ zu verstehen hat, und zwar:

“a) De bescherming van de gezondheid van de bevolking, onder meer door :

- De preventie van tuberculose en kanker, hetzij door voorlichting, hetzij door preventieve maatregelen;"

In Bemerkung 11 lässt der Staatsrat außerdem Folgendes verlauten: „Dies ist jedoch eine nicht erschöpfende Liste von Aktivitäten und Diensten, wie die Worte ‚unter anderem‘ zeigen."

In Bemerkung 12 verdeutlicht der Staatsrat, dass die Zuständigkeit der Gemeinschaften nicht einschränkend ausgelegt werden kann, sondern – im Gegenteil – dass alle Aktivitäten und Dienste in der medizinischen Präventionspolitik übertragen wurden.

Schließlich heißt es in Bemerkung 12: „Außerdem müssen die Bestimmungen des Sondergesetzes in progressiver Weise interpretiert werden. Die Gemeinschaften können daher neue Aktivitäten und Dienste in diesem Bereich entwickeln.”

Wendet man diese Erkenntnisse auf den im Dekretentwurf vorgesehenen Maßnahmenkatalog an, gelangt man zu folgender Schlussfolgerung:

  1. Die im Dekretentwurf vorgesehenen Maßnahmen zielen einzig und allein darauf ab, die Ausbreitung einer bestimmten Krankheit (ausgelöst durch das Coronavirus) einzudämmen. Sie sind also eng verbunden mit der Verhinderung einer Krankheit (Bem. 10)
  2. Wenn es sich bei den Parlamentsdokumenten um eine nicht-limitative (Bem. 11), evolutive Liste (Bem. 12) handelt, dann kann dieser Liste neben Tuberkulose und Krebs auch die durch das Coronavirus (COVID-19) ausgelöste Krankheit hinzugefügt werden.
  3. Wenn präventive Maßnahmen gegen Tuberkulose und Krebs als Aktivitäten und Dienste bezeichnet werden können, dann können auch präventive Maßnahmen gegen das Coronavirus als Aktivitäten und Dienste gelten.

Darüber hinaus lässt sich diese Feststellung noch durch nachfolgende Elemente untermauern:

Im Rahmen der Vorbereitung des Sondergesetzes über die 6. Staatsreform hat sich der Staatsrat in seinem Gutachten 53.932/AV vom 27. August 2013 wie folgt geäußert:

6. In de toelichting bij het voorstel wordt gesteld dat de federale overheid bevoegd blijft voor het crisisbeleid wanneer een (acute) pandemie dringende maatregelen vereist, en dit op basis van haar residuaire bevoegdheid (50) .

Die laatste stellingname is echter voor betwisting vatbaar. De Raad van State heeft in een recent advies, uitgebracht in verenigde kamers, immers geoordeeld dat niet de federale overheid, op grond van haar residuaire bevoegdheid, ter zake exclusief bevoegd is. De Raad stelde daarover :

« Het is niet omdat maatregelen betrekking hebben op de bestrijding van een volksgezondheidscrisis dat de federale overheid bevoegd kan worden geacht. Integendeel, elke overheid is verantwoordelijk voor de bestrijding van een volksgezondheidscrisis binnen de grenzen van haar eigen materiële bevoegdheden, hetgeen echter niet uitsluit dat ter zake een samenwerkingsakkoord kan worden gesloten (51) . »

Indien de bijzondere wetgever het crisisbeleid bij een acute pandemie uitsluitend aan de federale wetgever wil voorbehouden, beveelt de Raad van State dan ook aan dit uitdrukkelijk in het voorgestelde artikel 5, § 1, tweede lid, 2º, van de bijzondere wet van 8 augustus 1980 te bepalen.

Ook verdient het aanbeveling om, op zijn minst in de parlementaire voorbereiding, te preciseren wat wordt begrepen onder « crisisbeleid ». Heeft dit enkel betrekking op bijvoorbeeld noodplanning, het opzetten van een coördinerende crisiscel (die al dan niet bestaat uit vertegenwoordigers van de verschillende betrokken overheden en kan optreden ten aanzien van de verschillende overheden), enz., of ook op het nemen van concrete maatregelen, ook al behoren die tot de materiële bevoegdheid van andere overheden dan de federale overheid ?

In der Rechtslehre macht J. VAN NIEUWENHOVE darauf aufmerksam (J. VAN NIEUWENHOVE, „Het gezondheidsbeleid“ in B. SEUTIN und G. VAN HAEGENDOREN, De bevoegdheden van de gemeenschappen, die Keure, 2017, S. 263, s. Anhang, Nr. 462 in fine), dass der Sondergesetzgeber davon abgesehen hat, dem Föderalstaat weitreichende(re) Befugnisse im Rahmen der Bewältigung einer Pandemie einzuräumen. Folglich sei die Föderalbehörde hierfür nicht allein zuständig. So auch die Antwort der institutionellen Mehrheit (Parl. Dok. Senat, 2013-2014, 5-2232/5, S. 249: “In die zin hebben de federale overheid en de deelstaten, elk binnen de grenzen van hun eigen materiële bevoegdheden, de bevoegdheid om maatregelen aan te nemen inzake de strijd tegen een crisis die raakt aan de volksgezondheid.”

Hieraus kann gefolgert werden, dass die Deutschsprachige Gemeinschaft dafür zuständig ist, die im Dekretvorentwurf vorgesehenen Maßnahmen einzuführen.

Obwohl die Regierung aus vorstehenden Gründen die Einschätzung des Staatsrates, dass die doch recht konkret gehaltenen Maßnahmen zu allgemein formuliert seien und die Anwendungsbestimmungen präzisiert werden müssen, um in die Zuständigkeit der Deutschsprachigen Gemeinschaft zu fallen, nicht teilt, wurde diesen Bedenken dennoch Rechnung getragen. Im einzufügenden Artikel 10.6.3 §1 wurde nun ein Absatz eingefügt, der das Ergreifen dieser Maßnahmen an das Vorlegen einer besorgniserregenden epidemiologischen Situation bindet. Diese Vorgehensweise lässt sich wie folgt erklären:

In Bemerkung 4.2 des Gutachtens zum vorliegenden Dekretentwurf hält der Staatsrat fest, dass die Gemeinschaften dafür zuständig sind, „Maßnahmen in Sachen Untersuchung, Behandlung und Isolation von Reisenden“ zu ergreifen. Es geht hierbei um Personen, die aus Risikogebieten zurückkehren. Die Gemeinschaften können demnach vorsehen, dass diese Personen sich einem Test auf eine Infektion mit dem Coronavirus (COVID-19) unterziehen und sich in Isolation begeben müssen.

Diese Maßnahmen können auferlegt werden allein aufgrund des Umstands, dass sich diese Personen in einem Gebiet aufgehalten haben, in dem eine besorgniserregende epidemiologische Situation vorliegt. Hierbei kann es sich um das Überschreiten eines bestimmten Inzidenzwert an Infektionen mit dem Coronavirus (COVID-19), das Zirkulieren von besorgniserregenden Varianten oder der Belegungsgrad der Krankenhäuser mit Corona-infizierten Patienten sein. Der Aufenthalt in einem Gebiet, in dem eine besorgniserregende Situation herrscht, scheint demnach der auslösende Faktor für die Zuständigkeit der Gemeinschaften in Sachen präventiver Gesundheitspolitik zu sein. Aus diesem Grund wurde Artikel 10.6.3 §1 dahingehend abgeändert, dass das Ergreifen der dort vorgesehenen Maßnahmen an einen ebensolchen Faktor geknüpft wird. Um zu bewerten, ob eine besorgniserregende epidemiologische Situation vorliegt, ist eine mehrstufige Beurteilung verschiedener Faktoren notwendig. Hierbei handelt es sich um den Inzidenzwert an Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb einer und zwei Wochen, wobei Maßnahmen erst ergriffen werden können, wenn ein Schwellenwert von 35 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche überschritten wurde, der Anteil positiver Testergebnisse, das Vorhandensein besorgniserregender Varianten, die Durchimpfungsrate und die Geschwindigkeit, mit der sich die Krankenhäuser COVID-19-Patienten füllen. Ergibt sich aus der Beurteilung dieser Faktoren, dass die epidemiologische Situation besorgniserregend ist, ist davon auszugehen, dass das Risiko, sich mit dem Coronavirus (COVID-19) anzustecken, gegeben ist. Die Beurteilung einer solchen Situation kann sich auch auf einzelne Gemeinden beziehen. Insofern wird durch diese Einschränkung nun definiert, unter welchen Umständen die Maßnahmen ergriffen werden können (Vorliegen einer besorgniserregenden epidemiologischen Situation), es wird definiert, auf welchem Gebiet diese Maßnahmen anwendbar sind (betroffene Gemeinde oder komplettes deutsches Sprachgebiet) und es ist somit sichergestellt, dass sie sich nur an Personen richten, die riskieren, sich mit dem Coronavirus (COVID-19) anzustecken (durch das Vorliegen einer besorgniserregenden Situation ist das Risiko gegeben). Dieselben Erwägungen gelten auch für die Bemerkungen des Staatsrats, dass Einschränkungen für Unternehmen und Betriebe und Gottesdienste an dieselben Kriterien geknüpft werden müssen.

Schließlich wurde der Kritik des Staatsrates, dass die Maßnahmen der Deutschsprachigen Gemeinschaft die Maßnahmen des Föderalstaates nicht außer Kraft setzen dürfen, Rechnung getragen, indem nun im einleitenden Satz von Artikel 10.6.3 §1 präzisiert wurde, dass diese Maßnahmen „unbeschadet“ der Maßnahmen der Föderalbehörde ergriffen werden können. Es wird demzufolge keinesfalls die Absicht verfolgt, geltende Maßnahmen des Föderalstaats aufzuheben, auszuhebeln oder ihrer Wirksamkeit zu berauben. Es geht viel eher darum, entweder komplementär zu den bestehenden föderalen Maßnahmen oder als Ersatz für auslaufende föderale Maßnahmen, über die nötigen Werkzeuge zu verfügen, um auf Gemeinschaftsebene bei der Bewältigung des Infektionsgeschehens beizusteuern. Denkbar sind nämlich folgende Hypothesen:

  • entweder föderale Maßnahmen sind für Gesamtbelgien noch in Kraft, das Infektionsgeschehen entwickelt sich gesamtbelgisch jedoch wenig besorgniserregend, während einige Gemeinden des deutschen Sprachgebiets allerdings besonders betroffen sein könnten. In diesem Fall kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Föderalstaat keine Maßnahmen ergreift, da diese für ganz Belgien gelten würden, obwohl nur ein kleines Gebiet betroffen ist.
  • oder die föderalen Maßnahmen laufen aus, so wie dies aktuell der Fall zu sein scheint. Die Folge ist, dass keine Maßnahmen mehr gelten, obwohl die epidemiologische Situation weiterhin angespannt bleibt.

In beiden Fällen wäre es kaum nachvollziehbar, wenn dann auch die Deutschsprachige Gemeinschaft trotz vorhandener Zustândigkeiten untätig bliebe. Diesbezüglich sei auch auf das Gutachten des Staatsrats Nummer 68.936/AV vom 7. April 2021 zu einem Vorentwurf eines Gesetzes „über verwaltungspolizeiliche Maßnahmen im Seuchennotstand“ (Parlamentsdok., Kammer, 2020-2021, Nummer 1897/001). In diesem Gutachten stellt der Staatsrat fest, dass die Gemeinschaften eigene Maßnahmen zur Bekämpfung einer Gesundheitskrise im Rahmen ihrer eigenen Zuständigkeiten verordnen können, dabei jedoch die vom Föderalstaat angeordneten Maßnahmen beachten müssen. Eine Verschärfung der bestehenden Maßnahmen könnten die Gemeinschaften somit durchaus anordnen, jedoch stehe es ihnen nicht zu, die föderalen Maßnahmen zu lockern oder aufzuheben. So heißt es in den Randnummern 41 und 42 des vorerwähnten Gutachtens

41. Concernant l’articulation entre les mesures prises sur le fondement des compétences fédérales en matière de police sanitaire, de protection civile et/ou de sécurité civile, d’une part, et les mesures sanitaires prises par les communautés et les régions en vertu de leurs autres compétences matérielles – plus particulièrement les mesures mentionnées aux numéros 28 et 29 du présent avis –, d’autre part, le Conseil d’État a indiqué dans le même sens, dans son avis n°68.338/3/AG précité du 12 janvier2021, qu’en ce qui concerne également ces compétences, les communautés et les régions doivent respecter «(traduction) le principe de proportionnalité [...], ce qui implique que l’exercice des compétences des autres autorités, comme les mesures de lutte contre la pandémie de COVID-19 que l’autorité fédérale a prises dans le cadre de sa compétence résiduelle, notamment en matière de protection civile, de sécurité civile, de police générale et/ou de santé publique, ne peut pas être rendu impossible ou exagérément difficile. Cela signifie notamment que les mesures de la Communauté germanophone ne peuvent avoir pour effet de rendre les mesures fédérales inopérantes en les assouplissant ou en les annulant en tout ou en partie ».

42. Concrètement, cela signifie notamment que, dans le contexte d’une crise touchant à la santé publique, les entités fédérées peuvent prendre des mesures dans le cadre de leurs compétences matérielles, tout en respectant toutefois les mesures prises par l’autorité fédérale sur la base de ses compétences énumérées plus haut. Rien n’empêche donc effectivement une communauté, par exemple, de fermer les musées sur son territoire dans l’hypothèse où l’autorité fédérale n’en aurait que restreint l’accès. À l’inverse, si l’autorité fédérale a décidé, dans le respect du principe de proportionnalité évoqué ci-dessus, de fermer les musées sur tout le territoire, une communauté ne pourra pas décider d’ouvrir les musées sur le sien. Le même raisonnement vaut, par exemple, en matière d’ouverture des écoles.

2) Anschließend identifiziert der Staatsrat eine zweite Kategorie von Maßnahmen, und zwar solche, für die die Deutschsprachige Gemeinschaft uneingeschränkt zuständig ist, da solche Maßnahmen anderen Zuständigkeiten als der Präventivmedizinzugerechnet werden. Es handelt sich um die Maßnahmen 5-8, 10, 11 und 13, und zwar die Möglichkeit:

  • den Betrieb von Kultur-, Freizeit- und Vergnügungseinrichtungen einzuschränken oder zu untersagen;
  • Veranstaltungen im Freizeit- und Kulturbereich einzuschränken oder zu untersagen;
  • die Ausübung sportlicher Tätigkeiten sowohl in öffentlichen als auch in privaten Sportinfra-strukturen einzuschränken oder zu verbieten;
  • Personengemeinschaften im Sinne von Artikel 10.7 Nummer 5 zu schließen oder ihnen Auflagen für die Fortführung ihres Betriebs aufzuerlegen;
  • stationären Angeboten und Einrichtungen die Schaffung und Nutzung von Isolierstationen aufzuerlegen;
  • den Betrieb von touristischen Unterkünften einzuschränken oder zu untersagen;
  • Auflagen für das Abhalten von Veranstaltungen aufzuerlegen oder diese zu verbieten.

Diese Maßnahmen können nach Ansicht des Staatsrats unabhängig von der Zuständigkeit im Bereich der Präventivmedizin angeordnet werden, d.h. es ist nicht erforderlich, dass sie sich sie sich an infizierte Personen richten oder an solche, die ein erhöhtes Risiko aufweisen, sich zu infizieren. Aus Kohärenzgründen wird jedoch auch das Ergreifen solcher Maßnahmen an das Vorliegen einer besorgniserregenden epidemiologischen Situation gebunden.

Auch für diese Maßnahmen gilt nach Ansicht des Staatsrats, dass sie ggf. auf Ebene des Föderalstaats getroffene Maßnahmen nicht beeinträchtigen dürfen. Beabsichtigt die Regierung also, derartige Maßnahmen zu treffen, hat sie die bestehenden föderalen Maßnahmen zu berücksichtigen.

3) Schließlich beschreibt der Staatsrat noch eine dritte Kategorie von Maßnahmen, und zwar solche, für die die Deutschsprachige Gemeinschaft nicht zuständig ist. Es handelt sich um die im Dekretvorentwurf vorgesehene Maßnahme, dass die Regierung den Verkauf von Alkohol oder den Alkoholkonsum auf bestimmten öffentlichen Plätzen oder zu bestimmten Zeiten untersagen kann.

Als Reaktion auf diese Bemerkung wurde diese Maßnahme aus dem Katalog entfernt.

Die übrigen Bemerkungen wurden umgesetzt wie vom Staatsrat angeregt. So wurde die Ermächtigung aus Artikel 10.6.3 Absatz 3 mit Absatz 1 verschmolzen. Im selben Absatz 3 wurde präzisiert, dass die Regierung das Datum des Außerkrafttretens der erlassenen Maßnahmen vorsehen muss.

5. Rechtsgrundlage:

  • Sondergesetz vom 8. August 1980 zur Reform der Institutionen, Artikel 5 §1 I. Absatz 1 Nummer 8
  • Gesetz vom 31. Dezember 1983 über institutionelle Reformen für die Deutschsprachige Gemeinschaft, Artikel 4