Sitzung vom 1. Juli 2021

Analyse zu den Gefahren von Verschwörungserzählungen und der Verbreitung von Fehlinformationen im Zuge der Corona-Pandemie

1. Beschlussfassung:

Die Regierung nimmt den Bericht der MSL Germany betreffend die Analyse zu den Gefahren von Verschwörungserzählungen und der Verbreitung von Fehlinformationen im Zuge der Corona-Pandemie zur Kenntnis.

Der Ministerpräsident wird beauftragt, den Bericht an das Parlament der Deutschsprachigen Gemeinschaft sowie an das „Speak-Up!“-Bündnis über das Institut für Demokratiepädagogik und das Medienzentrum zu übermitteln.

2. Erläuterungen:

  • Hintergrund für die Beauftragung der Kommunikationsagentur MSL Germany war die Beobachtung, dass sich Verschwörungserzählungen und Fehlinformationen in Bezug auf die Coronakrise zunehmend verbreitet haben und eine Polarisierung innerhalb der Gesellschaft stattzufinden droht, die Einfluss auf die Dialogkultur und das Diskussionsklima hat.
  • In Bezug auf diese Beobachtung möchte die Regierung eine Spaltung innerhalb der Gesellschaft verhindern und die Dialogkultur in Ostbelgien stärken.

Die Regierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft hat vor diesem Hintergrund einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag über die „Optimierung der Kommunikation der Regierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft vor dem Hintergrund der Coronapandemie und den immer weiter um sich greifenden Fehlinformationen und Verschwörungserzählungen“ mit Referenz: KAB.PAA/NDP/AnM/20.125 an die Kommunikationsagentur MSL Germany vergeben.

Gegenstand dieses Dienstleistungsauftrages war a) eine Analyse der Kernthemen, die in der Deutschsprachigen Gemeinschaft in Bezug auf Verschwörungstheorien und Fake News diskutiert werden, b) eine Analyse, in welchen Medien und in welcher Form diese diskutiert werden und c) die Erarbeitung  von Handlungsempfehlungen.

Die Agentur MSL Germany hat der Regierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft jetzt ihren Bericht vorgelegt. Das Dokument teilt sich in mehrere Kapitel auf: Methodologie, Klärung der Begrifflichkeiten, Analyse der Ausgangssituation, Empfehlung strategischer Leitlinien.

MSL Germany ist bei der Analyse der Kernthemen analytisch-empirisch vorgegangen. Die Agentur hat die öffentlich zugänglichen Quellen analysiert und Tiefeninterviews mit unterschiedlichen Stakeholdergruppen geführt.

Die erarbeiteten Empfehlungen beruhen auf folgenden Erkenntnissen der Agentur zur Verbreitung von Verschwörungserzählungen und Fehlinformationen in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie:

  • die große Mehrheit der Ostbelgier sei für Verschwörungserzählungen und Falschinformationen im definierten Sinne unempfänglich. Eine kleine Minderheit trage allerdings mit gezielt verbreiteten Falschinformationen zu einer Verunsicherung und teilweise zu einer Spaltung der Bevölkerung bei;
  • die Verbreitung von Verschwörungserzählungen und Falschinformationen finde vornehmlich im digitalen Raum statt. In diesem digitalen Raum gebe es oft kein respektvolles Diskussionsklima und keine respektvolle Dialogkultur;
     
  • der Entzug der Öffentlichkeit ermögliche durch das Fehlen der sozialen Kontrolle die Verbreitung der genannten gesellschaftlichen Phänomene. Eine besondere Rolle bei der Verbreitung von Verschwörungserzählungen und Falschinformationen spiele der große Bereich nicht sichtbarer Kommunikation in privaten Chats von Anbietern wie WhatsApp und Telegram. Eine Reaktion auf dort kursierende Falschinformationen sei nicht möglich, da sich die Diskussionen der Öffentlichkeit entziehen.
     
  • die durch die Maßnahmen zur Eindämmung des Corona Virus entstandene soziale Distanzierung sei ein weiterer Aspekt, der für die Verbreitung von Verschwörungserzählungen und Falschinformationen verstärkend wirke;
  • ein weiterer Punkt sei die Unsicherheit und der Informationsbedarf der Bürgerinnen und Bürger. Wie in den meisten europäischen Gesellschaften habe die Coronakrise in Ostbelgien den bereits vorher gestarteten Medienwandel beschleunigt. Die klassischen Medien hätten teilweise ihre Rolle als hauptsächlicher Informationsfilter weiter eingebüßt. Die sozialen Medien und Messengerdienste spielten bei der Informationsbeschaffung der Bürgerinnen und Bürgern eine zunehmend wichtige Rolle.

Der Bericht attestiert der Regierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft gute Voraussetzungen, um nachhaltige Präventivmaßnahmen gegen Verschwörungserzählungen und Fake News aufzubauen.

Eine wichtige externe Voraussetzung hierfür wird im Bericht ausdrücklich hervorgehoben: die besonders positiv bewertete Arbeit des Medienzentrums und des Instituts für Demokratiepädagogik, durch deren Aktivitäten (insbesondere der Speak Up!-Kampagne) der Verbreitung von Falschinformationen begegnet werde.

Die im Bericht ausgesprochenen Empfehlungen, basierend auf den Erkenntnissen der Analyse der Ist-Situation, teilen sich in zwei Handlungsstränge.

Erstens strategische Leitlinien für die Bekämpfung von Fake News und Verschwörungserzählungen und strukturelle Voraussetzungen innerhalb der Regierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft.

Zweitens die Ausrichtung der Kommunikation der Regierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft mit den Bürgerinnen und Bürgern.

Die Empfehlungen zum 2. Punkt sind:

  • Klarheit und Transparenz in der Herleitung von Entscheidungen: Wenn es kein Informationsvakuum gibt, haben Fake News weniger Spielraum. Um dieses Informationsvakuum zu beseitigen, sollten Entscheidungen transparent hergeleitet, einheitlich kommuniziert, nachvollziehbar und so weit wie möglich wissenschaftlich begründet sein.
  • Ehrliche und zuverlässige Kommunikation auf Augenhöhe: Fehler, Probleme, Unklarheiten und Missstände sollten offen angesprochen werden. Auch PolitikerInnen sind nicht unfehlbar. Es gibt für die derzeitige Krise keine Blaupause. Wichtig ist ein realistisches Erwartungsmanagement. Widersprüche sollten unbedingt vermieden werden. Dazu gehört auch eine klare Differenzierung, wann es um die Zuständigkeitsbereiche der Föderalregierung und wann es um die der DG-Regierung geht.
  • Sicherstellung regelmäßiger Simultanübersetzungen bei TV-Übertragungen der Pressekonferenzen nach Sitzungen des Konzertierungsausschusses.
  • Wie im Kapitel zur Kommunikation innerhalb der Regierung aufgeführt, schlägt MSL vor, dass die Zentralregierung aufgefordert wird, für schnelle Übersetzungen der zentralen Entscheidungen zu sorgen.
  • Organisation einer klaren Kommunikationskaskade: Es sollte eine genaue Reihenfolge der Kommunikation festgelegt und möglichst eingehalten werden. Das gilt sowohl für neue Empfehlungen des Konzertierungsausschusses als auch für Beschlüsse der föderalen Regierung sowie der Regierung der DG. 
  • Nutzung von Synergieeffekten: Anstatt vereinzelte Fragen auf Facebook zu beantworten, können vorhandene Kapazitäten in einer wöchentlichen digitalen Bürgersprechstunde mit allen MinisterInnen effizient genutzt werden. Das Format würde nicht nur eine höhere Reichweite an AdressatInnen, sondern eine transparentere Herleitung von getroffenen Entscheidungen ermöglichen. Zudem stellt dieses Vorgehen die Weichen für eine einheitliche Außenkommunikation und weniger Verwirrung innerhalb der Bevölkerung.
  • Einrichtung einer nutzerfreundlichen und übersichtlicheren Webseite oder Unterseite von Ostbelgien Live mit allen wichtigen Corona-Informationen: Als zusätzliches Informationsangebot könnten alle neuen Updates wöchentlich in Form eines Newsletters für alle interessierten BürgerInnen verständlich und gut nachvollziehbar aufbereitet werden (inklusive eines Links zur Aufzeichnung der digitalen Bürgersprechstunde). Um den Nutzen zu skalieren, kann diese Webseite mit einem zentralen Facebook-Account des Ministeriums verknüpft werden.
  • Bereitstellung eines übersichtlichen Faktenchecks auf der Ministeriumswebseite: Hier gibt es bereits Angebote, an denen man sich orientieren kann (zum Beispiel Correctiv). Auf der Internetseite des Instituts für Demokratiepädagogik stehen mehrere Vorschläge zur Verfügung.
  • Stärkung des Bürgerdialogs, um unterschiedliche Perspektiven in die Diskussion einzubeziehen: BürgerInnen sollen keine Bedenken haben, ihre Meinung frei zu äußern. “Deutschland spricht” ist eine mögliche Inspirationsquelle für ein Format zur Etablierung eines breiteren öffentlichen Austausches, beispielsweise in den Kommunen: Hier handelt es sich um ein (virtuelles) Vier-Augen-Gespräch, das Menschen jeden Alters zusammenbringt, die eine unterschiedliche Haltung zu politischen und sozialen Themen haben. Im Vordergrund steht ein ehrlicher und gegebenenfalls auch kritischer Austausch in einem respektvollen Rahmen ohne persönliche Anfeindungen. In Deutschland wird die Initiative durch renommierte Medienpartner unterstützt.
  • Stärkung der Medienkompetenz: Weiterführung der politischen Bildung in Schulen, Involvierung von Erwachsenen mithilfe des Rates für Erwachsenenbildung, gemeinsame Online-Tutorials für Kinder und Eltern, Weiterentwicklung der Speak Up!-Kampagne. Die Regierung hat bereits angekündigt, dass sie die politische Bildung in der DG stärken möchte.
  • Um dem Problem der „unmoderierten Online-Kommentare“ auf den Webseiten der ostbelgischen Medien zu begegnen, könnte das Institut für Demokratiepädagogik einen runden Tisch zu dieser Thematik anregen. Wichtig: Die Initiative für einen solchen runden Tisch darf nicht von der Regierung der DG ausgehen.
  • Die Regierung sollte aktiv werden, wenn (rechtliche) Grenzen überschritten werden (zum Beispiel Anzeigenerstattung bei Morddrohungen). Werden nachweislich falsche Nachrichten verbreitet, sollte man diese sachlich richtigstellen. Zur Entkräftung von Desinformationen kann beispielsweise die sokratische Methode angewandt werden: In didaktischer Hinsicht versucht man einem Gesprächspartner durch geeignete Fragen zu ermöglichen, seine Irrtümer selbst herauszufinden und so sein

Erkenntnispotenzial zu aktivieren. Stellen BürgerInnen Verständnisfragen, äußern sie ihre Sorgen oder kritisieren sie Maßnahmen, so sollte man diese ernst nehmen und verständnisvoll darauf reagieren.

  • Entwicklung eines Kommunikationsleitfadens für den Umgang mit VerbreiterInnen von Fake News und Verschwörungserzählungen: Eine mögliche Vorlage hierfür stellt eine Empfehlung von ExpertInnen und Forums-ModeratorInnen dar, die im MIT Technology Review unter dem Titel „How to talk to conspiracy theorists - and still be kind“ veröffentlicht wurde.

MSL Germany regt an, die Kommunikation effizienter zu gestalten, um der Verbreitung von Verschwörungstheorien und Falschinformationen entgegen zu wirken, den Austausch mit den Bürgerinnen und Bürgern zu intensivieren, proaktiv gegen Verschwörungstheorien und Falschmeldungen vorzugehen und weiterhin die Medienkompetenz von Jugendlichen und Erwachsenen zu stärken.

Die Regierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft hat im Zuge der Coronakrise bereits einige Schritte in Richtung der ausgesprochenen Empfehlungen unternommen.

So wurden auf der Webseite des Ministeriums Sonderseiten zu Corona-Infos und der aktuellen pandemischen Lage in Ostbelgien eingerichtet. Zudem wurde eine Corona-Hotline eingerichtet und eine effiziente Tracing-Zentrale aufgebaut.

Auch hat die Regierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft das Institut für Demokratiepädagogik weiter gestärkt und gemeinsam mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren, wie dem Medienzentrum, dem Rat der deutschsprachigen Jugend, dem Rat für Erwachsenenbildung, Wegweiser Ostbelgien und Kaleido die Kampagne „Speak Up!“ lanciert, deren Ziel es ist, die Meinungsvielfalt und die Diskussionskultur in einem Rahmen der Toleranz und der Vermittlung von faktenbasierten Inhalten zu fördern.

Die Agentur empfiehlt, bei der Umsetzung der Empfehlungen auf die Expertise des Instituts für Demokratiepädagogik und des Medienzentrums sowie auf externe Fachleute zurückzugreifen, um eine respektvolle Dialogkultur in Ostbelgien zu stärken.

3. Finanzielle Auswirkungen:

Keine finanziellen Auswirkungen.

4. Gutachten:

Es sind keine Gutachten erforderlich.

5. Rechtsgrundlage:

Keine.